Rezitation im Zen

Wir veranstalten in Ulm einen Workshop zum Thema Rezitation. Termin ist der 10.03.2018, 11:00 bis ca. 17:00, Ort ist die ehemalige Hochschule für Gestaltung in Ulm.  Weitere Angaben siehe „Termine“.

Dieser Blog-Beitrag befasst sich mit Rezitation und soll etwas Hintergrundwissen zu diesem Thema geben.

Über Rezitation von Sutras im Zen

Bei der Rezitation im Zen werden buddhistische Sutras rhythmisch vorgetragen. Es geht nicht um das Singen eines Textes, sondern um einen kraftvollen Vortrag. Oft wird die Rezitation unterstützt von Instrumenten wie dem Mokugyo (einer Holztrommel mit Schlitz), Klangschalen und Taikos. Die gemeinschaftliche Rezitation ist ein wichtiger Bestandteil der Meditation.

Sutras sind bestimmte Lehrtexte des indischen Schrifttums, zu dem auch die buddhistischen Lehrtexte gehören. Eines der am häufigsten rezitierten Sutras im Zen ist das sogenannte Herz-Sutra, japanisch Hannya shingyo genannt. Es ist Teil des Sutras der Höchsten Weisheit (Prajnaparamita Sutra), einer Textsammlung, die im Zeitraum zwischen 100 v.Chr bis 600 n.Chr in Indien ursprünglich in der Sprache Sanskrit entstand. Zu dieser Sammlung gehört auch das Diamant Sutra, ebenfalls eines der bekanntesten Sutras. Das Herz-Sutra ist eine knappe Zusammenfassung der Prajnaparamita Sutra und gilt als dessen Essenz.

Das Sutra der Höchsten Weisheit hat den Umfang von dem ca. 80-fachen des Neuen Testaments bzw. dem 25-fachen der Bibel und existiert in mehreren Fassungen und Sprachen. Es wurde im siebten Jahrhundert von dem chinesischen Mönch Xuanzang (Hsuan-tsang, jap. Genjo Sanzo) ins Chinesische übertragen. Auf dieser Übertragung und ihrer japanischen Lesung beruht der in den Zendos meistens verwendete Text. Der Text ist daher weder auf Japanisch noch auf Chinesisch noch auf Sanskit ohne weiteres zu verstehen. Das Blog-Bild zeigt ein einen Ausschnitt der Hannya shingyo auf einem archäologischen Fundstück. Auf die Geschichte des Fundstücks und auf die Probleme bei der Übertragung des Textes siehe weiter unten.

Warum werden im Buddhismus Sutras rezitiert?

Hakuun Yasutani Roshi (1885-1973) war ein japanischer Zen-Meister der Soto-Linie , der sehr viel zur Verbreitung des Zen in den USA während der 1960-er Jahre beigetragen hat und der die Linie des Sonbo Kyodan gründete. Er gab darauf folgende Antwort, die ich hier frei übersetze:

Es gibt drei Gründe, warum wir Sutras rezitieren. Erstens, um den buddhistischen Patriarchen unsere Ehrerbietung zu erweisen; zweitens, um eine edle Verbindung mit allen Wesen einzugehen; drittens, um die ersten beiden Handlungsweisen mit unserer buddhistischen Schulung zu verbinden.

Zum Einen greifen wir beim Rezitieren eine Tradition auf. Die Texte wurden so von buddhistischen Meditierenden auf der ganzen Welt seit über tausend Jahren rezitiert. Wir bauen eine Verbindung zu ihnen auf und drücken unsere Dankbarkeit gegenüber den Patriarchen aus. Zum Zweiten bauen wir auch eine Verbindung zu den anderen  Meditierenden auf, auch wenn diese auf der Ebene des Unbewussten stattfindet. Die Wirksamkeit der Rezitation hängt auch sehr von der Energie und geistigen Haltung ab, mit der sie durchgeführt wird. Wird sie halbherzig und zerstreut durchgeführt, ist auch ihre Wirkung kraftlos. Schließlich, wenn sie kraftvoll und entschlossen durchgeführt wird, dann wird auch unsere Kraft für das Samadhi gesteigert und wir kommen dem Erwachen näher.

Das Wichtigste ist, die Sutras mit vollem Herz und Geist zu rezitieren.

Wer mehr zu diesem Thema lesen möchte, dem sei der folgende Artikel empfohlen:
buddha weekly – why reciting sutras is important

Zum geschichtlichen Hintergrund des  Bild dieses Blogs

Das Bild dieses Blogs zeigt ein Fundstück von ca. 950 n.Chr auf Birkenborke, geschrieben mit Tinte. Es stammt aus dem ehemaligen Gebiet Sogdien in Zentralasien, was etwa in dem Gebiet des heutigen nördlichen Afghanistan, Tadschikistan und Usbekistan lag.

Das Volk der Sogder lebte dort etwa seit dem 7. Jhd v. Chr. mit den Hauptstädten Samarkant und Baktra (heute Wazirabad). Die Geschichte der Sogder-Prinzessin Roxane und Alexander dem Großen dürfte bekannter sein als das Volk der Sogder. Sie gehörten seit 540 v.Chr zum Perserreich und hatten Verbindungen sowohl nach Griechenland als auch bis zum chinesischen Kaiserhof. Ihre Rolle als Kulturvermittler und auch für die Verbreitung des Buddhismus von Indien nach China wird immer mehr erkannt. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass 712 Samarkant von Arabern erobert und vollständig zerstört wurde. Die Sogder und ihre Kultur fanden damit ein gewaltsames Ende.

Link zur Bildquelle:
Bibliothèque nationale de France

 

Zur Übersetzung des Herz-Sutra

Das Fundstück ist eine Abschrift des Herz-Sutra Hannya-Shingyo in der Sprache Sanskrit, geschrieben in der Siddham-Schrift, einer Form der indischen Brahmi-Schrift, die seit dem 3. Jhd v.Chr zu Zeiten des indischen Kaisers Ashoka nachweisbar ist. Ursprünglich wurde nur Sanskrit in Siddham geschrieben. Eine erste Übersetzung ins Chinesische wurde ca. 401 n.Chr. von Kumarajiva, (jap.. Kumarajū) vorgenommen. Der japanische budhistische Mönch Kukai (774-835) lernte Sanskrit und Siddham und brachte diese Schrift 806 von China nach Japan, wo sie die Entstehung der dortigen Lautschrift (Silbenschrift) Katakana wesentlich beeinflusste. In seiner Shingon-Schule, die auch als mantrischer oder esoterischer Buddhismus bezeichnet wird, wird Siddham weiterhin verwendet.

Dies ist besonders bei Mantras der Fall, die ohne semantischen Inhalt sind und ihre Wirkung nur über den Klang und die Form der Schriftzeichen entfalten. Auch Dharanis, die sowohl eine inhaltliche Bedeutung als auch eine Wirkung über Klang und Form der Schriftzeichen haben, sind oft in Siddham geschrieben. Bei der Übertragung der Sutras vom Sanskrit ins Chinesische wurden solche Stellen, die ihre Bedeutung auch im Klang und in der Schriftzeichen-Form haben, nur dem Wort-Klang nach ins chinesische transkribiert, aber nicht in ihrem Inhalt übersetzt. Ein Beispiel aus der Hannya-Shingyo stellt die Textstelle „gya tei, gya tei, ha ra gya tei, hara so gya tei, bo ji so waka“ dar, die ein Mantra darstellt und lediglich dem Klang nach übertragen wurden. Übersetzt würde sie etwa mit „gegangen, gegangen, hinübergegangen, ganz hinübergegangen, oh welch ein Erwachen, vollkommener Segen!“.
Bei den in der Regel in den Zendos vorliegenden Rezitationstexten in lateinischen Buchstaben handelt es sich um die ins Chinesische übertragenen Sutras mit einigen Sanskrit-Worten, übertragen auf japanische Aussprache, die sich wiederum von der Aussprache des Textes in der jeweiligen Landessprache unterscheidet. Der Inhalt der Herz-Sutra ist gerade in seiner Kürze und Prägnanz einer der wichtigsten Texte des Zen und auch des tibetischen Buddhismus.